So lebte Amelie wohl ihr Leben lang, bis sie gerettet wurde.

Tina / Amelie:

Es war als ganz normaler Anruf auf die Station in Nikiti geplant. Die üblichen Sachen: Futter bestellen, wie geht die Badrenovierung weiter, welche Hunde sind gekommen. Aber Samiras Ton war anders als sonst. Sie wirkte traurig, bedrückt. Wir kennen uns jetzt so lange, da war noch etwas anderes.

Ich fragte nach und bekam auch eine Antwort: Eben war eine sehr alte Hündin gebracht worden. Von einem deutschen Ehepaar. Sie sollte kastriert werden. Und dann? Ja, dann wieder an die Kette zurück. Dort hatte sie wohl schon ihr ganzes Leben verbracht. In einem Verschlag, ab und zu zur Jagd benutzt. In der Einsamkeit, abgemagert, an einer Kette, die selbst einen Bullen hätte halten können.

Samira sagte traurig: Diesen alten Hund können wir nie vermitteln. Wir haben nicht genug Platz! Sie muß an die Kette zurück. Meine Gedanken schlugen Purzelbaum. Drei Hunde hatte ich schon, ein eingespieltes Team. Meine älteste Hündin, Luise, ist 15 Jahre alt. Nach ihrem Tod wollte ich eigentlich nur noch zwei Hunde halten.

Aber muß man nicht manchmal einfach über seinen Schatten springen? Spontan Dinge annehmen? War es Schicksal, dass ich gerade in diesem Moment angerufen habe?
Ich hörte mich nur noch sagen: Ich nehme sie! Wenn sie kastriert ist, kann sie zu mir kommen.
Noch hatte ich kein Bild gesehen, mir war ihre Größe nicht bekannt, ich wusste nichts. Mein Mann hatte bis jetzt nicht zugestimmt, aber ich hatte zugesagt.

Als ich die ersten Bilder von ihrer früheren Unterkunft sah, wusste ich, dass die Entscheidung richtig war. Alte Zeltplanen, Abfalleimer, leere Wassernäpfe, waren das tägliche Einerlei meiner Amelie. Wie viele Kinder mochte sie wohl gehabt haben? Ungeschützt konnte jeder Rüde des Weges kommen. Wie viel Not, Angst und auch Langeweile hatte dieser Hund schon erlebt.

Nach vier Wochen war es so weit. Nervös stand ich am Düsseldorfer Flughafen. Ich, die schon etliche Tiere abgeholt hatte, war aufgeregt wie ein Anfänger.
Wie würden sich meine Hunde benehmen? Wie sollte ich sie integrieren? Auf neutralem Boden? Oder im eigenen Garten?

Der Flieger kam, die Flugpaten meldeten sich und da war sie: Ein dürres Hundemädchen mit grauer Schnauze, Augen, die nicht mehr klar blickten, ein rührender Anblick. Angespannt fuhr ich nach Hause. Alle Hunde ab in den Garten. Ein großes Pipi wurde sofort erledigt. Meine Hunde zeigten sich gastfreundlich, aber nicht begeistert.

Aber Fräulein Amelie kannte keine Treppen. Sie eierte die Stufen hoch wie ein Matrose bei starkem Seegang. Und sie war alles andere als stubenrein. Das hatte sie in ihrer Behausung natürlich nie gelernt. Nach der ersten Nacht glich mein Esszimmer einer Seenlandschaft. Viele Aufregungspipis mussten gewischt werden.

Hoffentlich hatte ich mich nicht übernommen!

Amelie in ihrem neuen Zuhause.

Die erste Woche war wirklich anstrengend. Mein normaler Alltag musste ja auch weitergehen. 
Am Montag ging ich mit ihr zum Arzt. Die Pinkelei war einfach nicht normal. Es stellte sich heraus, dass die Bauchspeicheldrüse nicht mehr richtig arbeitet. Ein Spezialfutter wurde bestellt und alles normalisierte sich.

Jetzt ist Amelie schon fünf Wochen bei uns. Alle Probleme haben sich gelöst. Treppen sind kein Problem mehr. Sie ist absolut stubenrein und meldet sich. Spazierengehen ist ihr größtes Glück. Und wenn ich so auf meine jetzt vier Hunde schaue, wie nach einem langen Spaziergang müde in ihren Körben liegen, noch mit den Beinen zucken und von aufregenden Abenteuern träumen, dann weiß ich: Diese Entscheidung war einfach nur richtig!