Hubert, der damals noch auf der Station tätig war, und ich fachsimpelten mal wieder. Ich fragte, ob er noch einen weiteren Hund habe, der eine schlechte Vergangenheit hatte, um den man sich besonders kümmern müsse? "Ja", sagte er. Und da passierte es: Erika trat in mein Leben. Eine ca. 17 kg schwere Jagdhundmixhündin mit grausamer Vorgeschichte. Sie war knapp zwei Monate bei Samira und Hubert in liebevoller Pflege.
Sie erklärten mir, dass Erika noch vier Wochen zuvor niemanden, verstärkt Männer, an sich ran ließ. Sie biss aus Angst und Schmerzen um sich. Sie lebte in Nea Moudania auf der Straße, wo allerdings auch viele Giftköder ausgelegt werden. Sie hatte es wohl bemerkt und fraß keine dieser Köder, wurde aber von einem Auto angefahren.
Das rechte Hinterbein war gebrochen, das linke Hinterbein war zum größten Teil aus dem Hüftgelenk gesprungen. Ein netter Grieche, der mit Samira und Hubert in Kontakt steht, hatte die verletzte Hündin zum Tierarzt Costas van Heers, der in Nea Moudania praktiziert, gebracht. Er versorgte das gebrochene Bein und kastrierte Erika gleich mit.
Der nette Grieche brachte sie dann zur Station. Dort musste sie aufgrund ihrer Verletzungen ruhig gehalten werden. Sie bekam ein schönes Zimmer im Hexenhaus, musste aber angeleint bleiben. Sie hat dann wohl drei bis vier Leinen durchgebissen und war eine ängstliche und aggressive Hündin. Verständlich bei diesen Schmerzen. Erika besserte sich aber von Tag zu Tag, sie hat bestimmt gefühlt, dass man es gut mit ihr meinte.
Ich lernte sie dann kennen. Erika bewegte sich bereits humpelnd im Rudel, ließ nur Samira und bedingt Hubert an sich heran. Näher als fünf Meter konnte ich mich ihr nicht nähern, sie änderte sofort ihre Richtung.
Das rechte Bein war leider schief verheilt, aber nicht störend. Es war klar, dass das linke Bein in Deutschland unbedingt operiert werden müsste.
Nun war die Aufgabenstellung klar: Erika in Deutschland zwischen unseren Hunden resozialisieren, wieder an Menschen gewöhnen, Ängste abbauen und operieren lassen. Im Anschluss an ihre Genesung in gute Hände vermitteln, egal wie viel Zeit das in Anspruch nimmt.
Also habe ich meine Frau angerufen und ihr alles erklärt. Sie sagte zu, dass sie sich auch um Erika kümmern würde.
Erika, unser Sorgenkind, sie ließ sich nach acht Wochen noch immer nicht anleinen. Sie schrie unerträglich vor Angst, drehte sich wie verrückt im Kreise und versuchte die Leine durchzubeißen.
Wir standen vor einem riesigen Problem. Der Tierarzt kann sie erst operieren, wenn sie leinenführig ist. Direkt nach der OP müssen Bewegungsübungen durchgeführt werden. Mit einem Hund, der sich nicht anleinen lässt, unmöglich. Dr. Sager lehnte die OP erst einmal ab.
Weihnachten 2003, Erika war bereits vier Monate bei uns. Ich schrieb zum ersten Mal in 30 Jahren Ehe meiner Ruth einen Wunschzettel auf dem stand: ERIKA, zum Ankreuzen JA oder NEIN. Ratet mal, was sie angekreuzt hat? Sie machte mir die größte Freude.
Wir hätten Erika hier nicht mehr rausreißen wollen. Die Hunde liebten sich, sind ein super Rudel (wir dürfen auch mal mitspielen).
Nach monatelanger Kleinarbeit gelang es Ruth im April 2004 Erika leinengängig zu machen. Sie weinte noch, aber keine Panik und kein Leinenbeißen mehr. Endlich konnten wir mit vier Hunden in den Rheinwiesen spazieren gehen.
Bei Erika ist ein Knoten geplatzt, nach zwei Wochen üben konnten wir sie ableinen. Sie kommt auf Zuruf zurück.
Nur vier Wochen später geht es Erika nicht schnell genug, sie fordert uns auf, ihr das Halsband umzulegen und macht kleine Freudentänze dabei.
Inzwischen wurde Erika operiert. Dr. Sager konnte sich noch gut an die VERRÜCKTE ERIKA erinnern und war überrascht, wie sie sich in dem halben Jahr verändert hat.
Bei der Röntgenaufnahme wurden noch drei Geschosse in Erikas Körper festgestellt. Sie sitzen glücklicherweise nicht an bedrohlichen Stellen. Alles ist gut verlaufen, Erika ist ein Traumhund geworden.
Was dieser Hund auf der Straße erlebt hat ist unvorstellbar und trotzdem liebt sie die Menschen immer noch. Wo habe ich meinen nächsten Urlaub verbracht?
Ratet mal.